Im Zeichen des Kranichs
Die Entstehung der Wing Chun Kampfkunst ist wissenschaftlich kaum belegt und daher umstritten. Es gibt viele verschiedene Geschichten und Mythen, von denen die Gängigste besagt, dass die Kunst vor mehr als 250 Jahren in den Shaolin-Klöstern in China entstanden ist. Demnach befand sich eines dieser Klöster am Fuße des Sung Berges in der Honan Provinz. Die Mönche des Klosters hatten den Ruf, bemerkenswerte Kämpfer zu sein und wurden so zum Ziel für die Regierung, welche eine potentielle Bedrohung in ihren Kampfkünsten sah. Obwohl die Mönche ihr Kloster lange verteidigen konnten, wurde es schließlich durch eine Intrige zerstört und brannte bis auf die Grundmauern nieder.
Der Legende nach zerstreuten sich die Überlebenden ins ganze Land und versteckten sich vor den Verfolgern der Regierung. Unter den Flüchtigen befand sich neben einigen Meistern auch die buddhistische Nonne NgMui. Sie versteckte sich im Tempel des weißen Kranichs und arbeitete an einem neuen Kampfstil, der allen anderen überlegen sein sollte. Die Geschichte besagt, dass die Grundidee für ihren neuen Stil entstand, als sie einen Kampf eines Kranichs und einer Schlange beobachtete. Das Verhalten des Kranichs, der seinem Gegner immer die Brustseite zuwendete und Angriffe mit den Schwingen abwehrte, um gleichzeitig mit dem Schnabel zu kontern, soll der entscheidende Anstoß gewesen sein.
Der Name Wing Chun geht der Legende nach auf eine Frau Namens Yim Wing Chun zurück, die eine Schülerin der Nonne NgMui war. In einem Ort am Fuße des Tai Lung Berges traf NgMui auf die 15-jährige Yim Wing Chun. Das Mädchen wurde von einem ortsansässigen Tyrann bedroht, der sie gegen ihren Willen heiraten wollte. NgMui unterrichtet Yim Wing Chun in der neuen Kampfkunst, damit sie sich verteidigen konnte. Yim Wing Chun war eine talentierte, fleißige und gelehrige Schülerin und schlug den Tyrannen schließlich nach einem kurzen Kampf. Yim Wing Chun unterrichtete ihren späteren Ehemann Leung Bok Chow in der neuen Kampfkunst. Dieser benannte das System zu Ehren seiner Frau „Wing Chun“ (ewiger Frühling).
Die meisten heute bekannten Varianten des Wing Chun gehen auf den Kampfkünstler Yip Man zurück (1893–1972). Er erlernte die bis dahin kaum bekannte Kampfkunst Wing Chun von Chan Wah Shun in der Stadt Fo Shan. Spätere Lehrer Yip Mans waren Chans Schüler Ng Chun So und der älteste Sohn von Chans Lehrer (Leung Jan) mit Namen Leung Bik. Seit der Zeit Leung Jans ist die Entstehung des Wing Chun-Stils historisch belegt.
Yip Man hatte im Laufe seines Lebens in Hongkong zahlreiche Schüler (u. a. Bruce Lee). Einen direkten Nachfolger ernannte Yip Man nicht, da er sich selbst nicht als Stilerbe sehen konnte.